OA stellt sich vor
Die Overeaters Anonymous (OA, deutsch: Anonyme Esssüchtige) gehören, wie schon der Name sagt, zu den „anonymen“ Gruppen. Diese Gruppen arbeiten mit einem Programm, das sie von den Anonymen Alkoholikern (AA) übernommen haben. Die ersten AA-Gruppen schlossen sich bereits in den 1930er-Jahren in den USA zusammen. Seither sind auf der ganzen Welt und zu den unterschiedlichsten Süchten Tausende anonyme Gruppen entstanden: Gruppen für Medikamentensüchtige, für Sexsüchtige, Spielsüchtige, für Angehörige von Suchtkranken, für Arbeitssüchtige … Seit 1960, seit sechzig Jahren also, gibt es auch Gruppen für Esssüchtige. Die erste OA-Gruppe in der Schweiz wurde 1980 in Zürich gegründet. Im Moment gibt es hierzulande OA-Gruppen in Zürich, Bern, Basel, Lausanne und Genf.
Die Menschen, die in unsere Gruppen kommen, haben eines gemeinsam: Sie gehen mit dem Essen zwanghaft um und leiden darunter. Es gibt bei uns Menschen sowohl mit (grossem) Übergewicht als auch mit (grossem) Untergewicht und auch solche, denen man ihre Essprobleme gar nicht ansieht. So unterschiedlich wie die Menschen sind auch ihre Essstörungen selbst: Die einen hungern oder halten ständig Diät, andere essen andauernd oder stopfen sich anfallartig mit Essen voll, wiederum andere erbrechen nach dem Essen oder versuchen, durch exzessives Sporttreiben und die Einnahme von Abführmitteln ihr Gewicht zu kontrollieren. Bei allen hat das Essen einen übergrossen Stellenwert im Leben eingenommen und wurde missbraucht, um mit scheinbar unaushaltbaren Gefühlen klarzukommen. Und alle sind bei ihrem Versuch, ein „normales“ Essverhalten zu erreichen, gescheitert.
Eines der Hauptziele in OA ist, „vom zwanghaften Essen abstinent zu sein“. Dabei bedeutet „Abstinenz“ weit mehr als eine reine Regulierung des Essverhaltens. Wir betrachten die Esssucht als eine Erkrankung, die den Menschen in seiner Gesamtheit erfasst: auf körperlicher, emotionaler und spiritueller Ebene. OA ist kein Diätverein, in dem es in erster Linie um das Ab-/Zunehmen und das Körpergewicht geht: Wir stellen keine konkreten Esspläne zur Verfügung und geben keine Diättipps. In OA soll vielmehr eine neue Lebensweise gelernt und eingeübt werden. Was OA zudem von anderen Selbsthilfegruppen unterscheidet, ist, dass das Programm eine spirituelle Dimension hat. Aus der Erfahrung heraus, dass wir uns selbst nicht mehr helfen konnten, vertrauen wir uns einer Höheren Macht an, die uns bedingungslos annimmt und uns leitet. Jede und jeder von uns kann dabei ihre/seine eigene Spiritualität finden, es gibt keinerlei Vorgaben und Erwartungen.
Das Programm von OA beruht im Wesentlichen auf den Zwölf Schritten. Der erste Schritt lautet: „Wir gaben zu, dass wir dem Essen gegenüber machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten.“ Am Anfang steht also eine Kapitulation, die Einsicht, dass uns nicht nur „ein bisschen Willenskraft“ fehlt, sondern dass wir unter einer ernsthaften Krankheit leiden. Dieses Eingeständnis macht uns offen für einen anderen, bewussteren Umgang mit unserer Sucht. Die Zwölf Schritte helfen uns, uns selbst besser kennenzulernen (zum Beispiel durch die „Inventur“) und uns mit unseren Schattenseiten zu versöhnen.
Um abstinent zu werden, brauchen wir auch ganz konkrete Hilfsmittel, die wir „Werkzeuge“ nennen. Dazu gehören unter anderem die OA-Literatur, Sponsorschaften von erfahrenen OA-Mitgliedern für Neue, Telefon-/SMS-Kontakte zwischen den OA-Treffen und natürlich die Treffen selber, die sogenannten Meetings. Diese finden in der Regel einmal wöchentlich statt. Geleitet und organisiert werden sie ausschliesslich von Betroffenen. Es gibt keine Mitgliedsbeiträge, wir erhalten uns durch eigene freiwillige Spenden. Und man muss auch keine Voraussetzungen erfüllen, um bei OA mitmachen zu können: Es braucht lediglich den „Wunsch, mit dem zwanghaften Essen aufzuhören“. Eine Besonderheit dieser Treffen ist zudem die Anonymität, die auch in unserem Namen auftaucht. Sie garantiert uns, dass alles, was in den Meetings gesagt wird, auch im Meetingsraum bleibt.
Ich selbst bin schon viele Jahre bei OA und habe, wie ich finde, eine grosse Entwicklung durchgemacht. Das Essen ist für mich in den Hintergrund gerückt. Ich muss auf Gefühle aller Art nicht mehr mit Essen reagieren und gehe mittlerweile sorgsam mit mir um. Mir hat die Gemeinschaft in OA sehr geholfen. Ich habe den Schritt raus aus der Isolation, aus der heimlichen Esssucht gemacht und Menschen kennengelernt, die mich aufgrund ihrer ähnlichen Probleme verstehen und mich annehmen, so wie ich bin. Ich konnte von ihren Erfahrungen profitieren und habe gelernt, Beziehungen einzugehen. Ich habe heute viel mehr Vertrauen ins Leben und bin dankbar für das, was ich in OA bekommen habe und immer noch bekomme.
Eine anonyme Esssüchtige, April 2019D